Neues aus der Wissenschaft gepaart mit Wissenswertem für Eure Beratung auf den Punkt gebracht
Allzu oft wird die Freude über die Schwangerschaft bereits zu Beginn getrübt. Übelkeit und Erbrechen stehen im Fokus und beeinträchtigen die ersten Wochen, bei manchen Frauen sogar die gesamte Schwangerschaft. Die Betroffenen wenden sich nicht nur hilfesuchend an den Arzt, sondern auch an ihre betreuende Hebamme oder sie kommen in die Apotheke.
In der Frühschwangerschaft leiden 80-85% der Schwangeren mehr oder weniger stark an Übelkeit und Erbrechen (Emesis gravidarum, Nausea and vomiting during pregnancy NVP) (1). Milde Formen im ersten Trimenon gelten als physiologisch. Bei 60% der Betroffenen verschwinden die Symptome etwa bis zur 14. Schwangerschaftswoche SSW, bei 90% bis zur 20. SSW und 10% leiden bis zur Geburt. Bei Anhalten oder erstmaligem Auftreten der Symptomatik nach der 16. SSW, sollte die Frau wegen fraglicher Oberbauchbeschwerden zur Abgrenzung einer Präeklampsie bzw. eines sich entwickelnden HELLP-Syndroms, rasch zum Gynäkologen weitergeleitet werden (2,3,4,5).
Die Übelkeit zeigt sich häufig in den frühen Morgenstunden, kann sich auch auf den ganzen Tag ausdehnen. Auffallend ist: Die Symptome nehmen zu, wenn die Frau nicht zeitig Nahrung zu sich nimmt oder durch Reize wie Zähneputzen. Manche Frauen berichten, dass sich die Übelkeit in anstrengenden Situationen verschlimmert, andere beobachten, dass in tätigen und auch stressigen Situationen die Übelkeit nachlässt, um danach in der Entspannungsphase umso stärker wiederzukehrt, so dass keine Erholung möglich ist.
Viele bemerken eine Verschlimmerung durch bestimmte Nahrungsmittel, typischerweise durch stark Gewürztes, Fettes, Süßes (v. a. raffinierter Zucker), Kohlensäure, Kaffee, schwarzer Tee, Zigaretten. Die meisten Betroffenen fühlen sich erschöpft und angestrengt und leiden unter der fehlenden Lebenslust und Freude über die Schwangerschaft.
Was steckt dahinter?
Aktuell diskutierte Auslösefaktoren für Emesis und Hyperemesis gravidarum
Der zunehmende βhCG-Level (6) korreliert häufig mit der Stärke der Übelkeit. Das für den Schwangerschaftserhalt wichtige humane Chorion Gonadotropin hCG steigt in den ersten Wochen stark an. Ab dem dritten Monat sinken die Konzentrationen wieder.
Einen weiteren Lösungsansatz bieten die neuesten Ergebnisse einer Studie von M. Fejzo et. al. (7). Das Studienteam weist nach, dass das Hormon GDF15 Auslöser der Übelkeit in der Schwangerschaft ist. Der Growth/Differentiation Factor 15 wird vom fetalen Anteil der Plazenta produziert. GDF15 koppelt im Hinterhirn an Rezeptoren und aktiviert diese. Je höher die Konzentration im mütterlichen Blut, desto ausgeprägter zeigt sich Übelkeit und Erbrechen. Auch die Empfindlichkeit auf dieses Hormon, spielt eine Rolle. So haben Frauen mit geringer GDF15-Exposition vor der Schwangerschaft ein höheres Risiko für eine Hyperemesis gravidarum als hingegen Schwangere, die chronisch hohe Konzentrationen im Blut aufweisen wie sie z.B. bei einer β-Thalassämie vorliegen.
Weitere Forschungen sind notwendig, wie die Wirkung des Hormons im zentralen Nervensystem blockiert werden kann oder ob gar eine Desensibilisierung vor der Schwangerschaft möglich ist. Die Wissenschaftler erhoffen sich hieraus die Entwicklung innovativer Therapieoptionen.
Neben erhöhten Hormonspiegeln von βhCG, Östrogen, Prostaglandin, TSH, T3 und T4 können auch eine genetische Veranlagung, schwankende Blutzuckerspiegel, eine Infektion mit Helicobacter pylori, Vitamin B- und Zinkmangel, ein stark entspannter Ösophagussphinkter und belastende psychosoziale Bedingungen Auslösefaktoren für Emesis und Hyperemesis gravidarum sein (8). Die Ergebnisse sind bislang jedoch unzureichend und widersprüchlich (4,5). Begünstigend auf die Entwicklung von schwerem Schwangerschaftserbrechen können sich Adipositas, Schilddrüsenerkrankungen, Nulliparität, eine Mehrlingsschwangerschaft, eine Blasenmole und Ernährungsstörungen wie Anorexie oder Bulimie auswirken.
Wie ihr erkennen könnt, ist die Übelkeit in anderen Umständen ein komplexes Geschehen. Ziel des Blogs ist, euch Tools an die Hand zu geben, wie ihr eine „normale“ bzw. physiologische Schwangerschaftsübelkeit gegen HG abgrenzen könnt, um bei schweren Ausprägungen umgehend auf den Gynäkologen verweisen zu können. Zu dem ist es mir ein Anliegen, bei leichteren Symptomen, die die Frauen dennoch im Alltag sehr beeinträchtigen, euch mehrere Möglichkeiten zur Linderung aus dem Bereich der Selbstmedikation und insbesondere der Naturheilkunde anzubieten, die ihr den Frauen zukommen lassen könnt.
Abgrenzung Emesis und Hyperemesis gravidarum
Frauen die zwar unter Übelkeit leiden und hin und wieder erbrechen, jedoch keine Gewichtsabnahme verzeichnen können oder trotzdem zunehmen, leiden an Emesis gravidarum. Allerdings beeinträchtigen auch bereits leichte Symptome das Wohlbefinden und Leistungsvermögen der Schwangeren oft beträchtlich.
Beruhigend ist: Eine leichte Symptomatik ohne stetigem und starkem Erbrechen hat keine Auswirkungen auf die Gesundheit und Entwicklung des Feten. Es scheint sich im Gegenteil mit dem Auftreten einer Emesis das Risiko einer Fehlgeburt leicht zu verringern (9).
Der Übergang einer Emesis in eine Hyperemesis vollzieht sich fließend. Für die Einschätzung kann der PUQE-Score (Pregnancy-Unique Quantification of Emesis and Nausea) eine Hilfe bieten.
Wird durch eine massive Übelkeit und Erbrechen über fünf Mal pro Tag und häufiger, die Aufnahme und das Behalten von Nahrung und Flüssigkeit praktisch unmöglich, spricht man von Hyperemesis gravidarum (HG). Betroffen sind davon weltweit 0,3-10,8% der Schwangeren laut Fejzo et. al. (10) Nach Informationen des Pharmakovigilanzzentrums für Embryonaltoxikolodie (Embryotox) (11) handelt es sind Deutschland um 0,2-2%.
Bei diesen Frauen besteht die Gefahr der Dehydration, einhergehend mit Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, Hypochlorämie, metabolische Azidose) und Gewichtsverlust über 5%. Körperliche Schwäche und ernste Mangelzustände (Wasser, Vitamine, Mineralien, Spurenelemente , Zucker, Eiweiß, Fette etc.), Tachykardien und Herzrhythmusstörungen, Hepatitis, Nerven- und Muskelbeschwerden, Gerinnungsstörungen, Kreislaufstörungen, Bewusstseinsstörungen bis zum Delir, Speiseröhrenschäden, Präeklampsie können die Folge sein. Mit Wachstumsretardierung beim Fetus und erhöhtem Risiko für eine zu frühe Geburt ist zu rechnen. Äußerst selten kann die Mutter, Vitamin B-Mangel bedingt, eine Wernicke-Enzephalopathie entwickeln. (12,13)
Ein besonderes Augenmerk sollte gerade bei Hyperemesis auch auf die psychische Verfassung der Schwangeren gelegt werden. Hier möchte ich vor allem euch Hebammen ansprechen, denn im Rahmen einer kurzen Beratung in der Apotheke ist dies kaum möglich. Depression kann mitunter eine HG auslösen oder aber sich aufgrund der Schwere der Symptomatik entwickeln. Leider fühlen sich hier viele Frauen vom medizinischen Personal im Stich gelassen. Daher hat es für jede Betroffene eine große Bedeutung, dass neben ihren physischen auch die psychischen Empfindungen ernst genommen werden. Auch hier bietet sich ein Tool an, um eine bessere Einschätzung vornehmen zu können: Depression Anxiety Stress Scale DASS. (14)
Über langfristige Auswirkungen der HG und die Rezidivraten bei einer erneuten Schwangerschaft gibt es bisher nur spärliche Erkenntnisse (12,13,15). Eine aktuelle Studie des Forscherteams von Kelly Nijesten (16) in Amsterdam, kam zu dem Ergebnis, dass bei 89 Prozent der Studienteilnehmerinnen, die während ihrer ersten Schwangerschaft an Hyperemesis gravidarum litten, die Erkrankung bei der zweiten Schwangerschaft erneut auftrat.
Wann zum Arzt?
Wenden sich die betroffenen Schwangeren an euch, ist es äußerst wichtig, sie mit ihren Empfindungen und Symptomen ernst zu nehmen. Für die Abklärung der Schwere der Symptomatik und um die Frage „Wann die Schwangere zum Arzt schicken?“ weisen euch Antworten der Schwangeren auf folgende Fragen (17) bereits die Richtung:
Wann haben die Symptome begonnen?
Wie lange dauern sie an?
Wie oft am Tag treten die Symptome auf?
Was erleichtert? Was verschlimmert?
Wie sieht das Erbrochene aus?
Wie viel wird erbrochen?
Wie entwickelt sich das Körpergewicht?
Typische Anzeichen einer HG sind
- Andauernde Übelkeit
- Nüchternerbrechen und mindestens 5maliges Erbrechen innerhalb 24 Stunden
- Gewichtsabnahme über 5%
- Kreislaufstörungen, körperliche Schwäche, schnelle Pulsfrequenz
- Trockene Schleimhäute und stark konzentrierter, geruchsintensiver Urin in geringen Mengen
- Hinweise auf eine Ketose: fruchtartiger, nach Aceton riechender Atem
- Eventuell erhöhte Körpertemperatur
Arztweisend sind pausenlose Übelkeit innerhalb der ersten Schwangerschaftswochen, damit einhergehende Nahrungskarenz, häufiges Erbrechen (>5mal/d) und zunehmende Schwäche!
Wenn sich der Verdacht auf HG bestätigt, sollte die Schwangere direkt an ihren Gynäkologen bei äußerst schweren Symptomen auch an die ärztliche Notaufnahme der nächstgelegenen Geburtsklinik verwiesen werden.
Diagnose Hyperemesis gravidarum
Für die ärztliche Diagnose sind neben einer ausgeprägten Symptomatik, einem starken „Krankheitsgefühl“, abnehmendes Gewicht und Elektrolytverschiebungen auschlaggebend. Urin- und Bluttests geben Aufschluss über den Entzündungsmarker CRP, Elektrolyte, Leber-, Nieren- und Schilddrüsenwerte und damit über das Vorliegen einer Stoffwechselentgleisung.
Ultraschalluntersuchungen zeigen bildhaft die Entwicklung des Embryos bzw. Fetus und/oder werden zur Abklärung einer eventuell vorliegenden Blasenmole oder einer Mehrlingsschwangerschaft durchgeführt (18).
Die Diagnose Hyperemesis gravidarum ist dem internationalen ICD-Code O21 zugeordnet. Es werden zwei Schweregrade unterschieden:
O21.0 Vorhandenes Krankheitsgefühl ohne Elektrolyentgleisung
O21.1 Vorhandenes Krankheitsbild mit Stoffwechselstörung
Behandlung von Emesis und Hyperemesis gravidarum
Nach dem die Ursachen immer noch nicht eindeutig definiert werden können, zielt die Therapie lediglich auf eine Minderung der Symptome ab. Leichte Ausprägungen einer Emesis können bereits durch die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, des Lebensstils und/oder durch alternative Heilmethoden (19) gelindert werden. So könnt ihr den Frauen folgende Tipps an die Hand geben:
- Mahlzeiten auf mehrere kleinere Portionen über den Tag verteilen und nicht abwarten bis das Hungergefühl einsetzt, da sich die Übelkeit oft bei einem erniedrigten Blutzucker verstärkt. Ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen, vorzugsweise in kleinen Schlucken.
- Eine erste Mahlzeit bestehend aus z.B. Zwieback und einer Tasse (Ingwer)Tee gleich noch vor dem Aufstehen im Bett einnehmen.
- Eiweiß- und kohlenhydratreiche Ernährung steht im Vordergrund, zu meiden sind fett- und säurereiche Lebensmittel. Auf stark gewürzte und süße Speisen sollte verzichtet werden. Wohltuende Nahrungsmittel sind: Tee von Koriander, Anis, Fenchel, Kamille, Himbeerblätter, Melisse oder Pfefferminze; kräftige Suppen und Brühen (ggf. entfettet), Kartoffeln, Möhren, Fenchelgemüse. Für eine ausreichende Vitamin B-Zufuhr sorgen Vollkorngetreide, Katzenminze, Miso, Algen. Weitere wertvolle Informationen zur Ernährung für Schwangere findet ihr hier. Wenn ihr mehr über das Thema wissen wollt, dann bucht unseren Abend-Wissen-Cocktail „Ernährung in der Schwangerschaft – die ersten 1000 Tage“.
- Es empfiehlt sich, bestimmten Gerüchen, die Übelkeit triggern können, aus dem Weg zu gehen: Kaffeeduft, Zigarettenrauch, Parfums, Küchengerüche etc.
- Die Schwangere sollte für ausreichend Frischluft in den Räumen sorgen und sich zusätzlich möglichst oft in der Natur aufhalten bei gemäßigter Bewegung, wie z. B. Spazierengehen, ruhige Gymnastik, Yoga, Qi Gong, und dabei ruhig und tief atmen.
- Für Entlastung im Alltag sorgen, Ruhepausen einlegen, ausreichend schlafen sind weitere hilfreiche Maßnahmen. „Mal hinein spüren, was brauche ich und meine Kind jetzt im Moment?“ steht im Vordergrund und einen Gang im Alltag herunterschalten.
Was hat die Naturheilkunde zu bieten?
- Ingwer zeigt gute Wirkung gegen Übelkeit; empfohlene Menge: 1 – 6 g frische, zerkleinerte Wurzel als Tee aufgebrüht über den Tag verteilt trinken (9, 9a). Ingwerwurzel sollte in der Schwangerschaft nur im ersten Trimenon eingesetzt werden, da ihre Inhaltsstoffe Wehen auslösen können. Die antiemetische Wirksamkeit von Ingwer wurde in mehreren kleinen Studien nachgewiesen und beruht auf der antagonistischen Wirkung an zentralen 5-HT3-Rezeptoren.
Verschieden durchgeführte Studien zeigen zwar eine mildernde Wirkung der Übelkeit bei Ingwer und Vitamin B-Produkten, jedoch keine durchgreifende Linderung bei Erbrechen.
- Anthroposophische Komplexmittel haben sich bei leichter Emesis bewährt:
Robinia comp. Globuli® Wala, Gentiana Magenglobuli® Wala, Nausyn® Tabletten Weleda
- Keine eindeutigen wissenschaftlichen Nachweise liegen für die Akupunktur vor. Wohingegen Studienergebnisse (20) zeigen, dass Akupressur mit Hilfe der Finger, eines Armbandes (Seaband®) oder mit Elektrostimulation zur Linderung der NVP beiträgt. Der Akupressurpunkt Perikard 6 bzw. Neiguan wird dabei getriggert.
- Auch die Anwendung von ätherischen Ölen trägt zur Linderung der Übelkeit bei. So eignen sich dafür besonders die Zitrusöle Grapefruit, Mandarine süß oder grün, Zitrone, Orange aber auch Rosmarin-, Ingwer- und Pfefferminzöl. Achtung: Die Dosierung unbedingt berücksichtigen!! Hier bietet es sich an, sich einen „Nofallkit“ herzustellen: Auf die Tamponade eines Riechstifts wird ein Tropfen z.B. Grapefruit- und Pfefferminzöl gegeben oder alternativ ein kleines Stück Papiertaschentuch wie beschrieben beträufelt und in eine kleine Dose (z.B. eine leere Salbenkruke aus der Apotheke) gesteckt. Wann immer die Schwangere die Übelkeit überkommt, kann sie daran schnuppern. Die genannten ätherischen Öle gelangen über die Nase sofort ins ZNS und wirken dort auf unser Brechzentrum. Lust auf mehr zum Thema „Ätherische Öle in der Schwangerschaft, in der Stillzeit und im ersten Lebensjahr?“ Dann schaut doch in unser Seminarprogramm.
- Auch die Homöopathie bietet eine Auswahl an Arzneien, die bei Übelkeit und Erbrechen eingesetzt werden können, wie z.B. Nux vomica, Ipecacuanha, Pulsatilla, Sepia etc. Hierfür sind jedoch entsprechende tiefere Kenntnisse für die Beratung notwendig. Die Symptome müssen sorgfältig erfragt werden, die Stimmung, was verbessert, was verschlechtert, damit genau das „Simile“ gefunden werden kann. Wenn ihr Interesse an tiefergehendem homöopathischem Wissen habt, schaut auf unseren Fortbildungskalender. Dort bieten wir Seminare zum Thema „Homöopathie in der Schwangerschaft“ an.
Medikamente bei leichteren Beschwerden
- Folio® nausema – ein Präparat mit Vitamin B1, B6 und B12 kann bei einer leichten Emesis die Symptome reduzieren. B6 wird eine modulierende Wirkung bei einer überschießenden Hormonproduktion zugesprochen, B12 unterstützt die Bildung der Erythrozyten und wirkt immunmodulierend. Übliche Dosierung: 3mal täglich eine Tablette. Eine Tagesdosis von 80mg Vitamin B6 (Pyridoxin) sollte in der Schwangerschaft vermieden werden!
Medikamente bei stärkeren Symptomen
H1-Antihistaminika zählen hier zu den Arzneien der Wahl (11,21):
- Der Wirkstoff Dimenhydrinat (z.B. Vomex A®) zählt zu den bekanntesten H1-Antihistaminika und wird auch in Deutschland am häufigsten bei Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft (Off-Label) eingesetzt. Zusätzlich besitzt er auch sedierende und anticholinerge Effekte. Laut Embryotox zeigt Dimenhydrinat weder im Tierversuch, noch bei Humanstudien ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko. Auch die Rate an Spontanaborten hat sich unter Gabe von Dimenhydrinat nicht erhöht. Allerdings sollte es bei vorzeitiger Wehentätigkeit nicht eingesetzt werden. In Einzelfällen wurde eine uterine Hyperstimulation einhergehend mit Bradykardie beim Fetus festgestellt. Zu dem kann es peripartal eingesetzt, zu kurzanhaltenden Anpassungsstörungen beim Neugeborenen führen. Die Anwendung ist begrenzt auf einige Tage.
- Das H1-Antihistaminikum Diphenhydramin (Emesan®, Vivinox® – auch Off-Label) wirkt antiemetisch, sedierend, antiallergisch und anticholinerg. Es weist allenfalls leicht teratogene Effekte auf und zeigt keinen Anstieg der Spontanabortrate. Anwendung bis zu 4mal täglich.
- Laut Embryotox ist Doxylamin, ebenfalls ein antiemetisch und sedierend wirkendes H1-Antihistaminikum, die bessere Alternative insbesondere gemeinsam mit Pyridoxin (Vitamin B6). Seit 2019 sind beide Wirkstoffe in Kombination auf dem deutschen Markt erhältlich (Xonvea® Tabletten, Cariban® Hartkapseln) und damit In-Label einsetzbar. Sie gelten als sicher beim Einsatz in der Schwangerschaft. Lediglich bei peripartaler Anwendung kann es zu vorübergehenden Anpassungsstörungen beim Neugeborenen kommen.
Aufgrund der sedierenden Wirkung wird eine abendliche Anwendung empfohlen. Durch seine verzögerte Wirkstofffreisetzung lindert Doxylamin die Morgenübelkeit. Sollte die Initiale Dosis von 2 Tabletten/Kapseln abends nicht effektiv genug sein, kann eine Tablette morgens eine auch am Nachmittag bestehende Übelkeit lindern. Bei weiter anhaltender Übelkeit kann zusätzlich noch eine Einnahme am Nachmittag erfolgen. Die maximale Dosierung wird mit 1-0-1-0-2 (morgens-nachmittags-vor dem Schlafen) angegeben.
- Meclozin, ein weiteres H1-Antihistaminikum guter Wirksamkeit gegen Emesis gravidarum, das weniger müde macht als Doxylamin, verfügt in Deutschland über keine Zulassung mehr. Die Beschaffung ist dennoch über die Apotheke mit einem Privatrezept vom Gynäkologen möglich. Bezogen wird es aus dem Ausland über die Internationale Apotheke. Das kann allerdings ein paar Tage in Anspruch nehmen. Zu dem liegen mittlerweile über den Einsatz von Meclozin weniger Daten vor, als im Vergleich zu Doxylamin/Pyridoxin.
Pharmakotherapie bei Hyperemesis gravidarum
Eine Hyperemesis erfordert ärztliche Betreuung und wird in der Regel im Krankenhaus behandelt. Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Symptomatik und dem vorliegenden Mangelstatus.
Die Primär Primärmaßnahmen umfassen eine
- Nahrungskarenz und eine
- suffiziente Flüssigkeitssubstitution. Elektrolytentgleisungen werden durch gezielte Substitution der fehlenden Elektrolyte in Form von Infusionen langsam und vorsichtig ausgeglichen. Neben Volumengabe erhält die betroffene Frau zusätzlich elektrolytreiche Lösungen, Infusionslösungen mit Vitaminen, insbesondere Vitamin B1, B6, C und/oder Glucose-Lösungen.
Im Anschluss wird ein langsamer enteraler Nahrungsaufbau angestrebt unter Kombination von Antiemetika wie Doxylamin, Diphenhydramin oder Meclozin. Falls dieses Vorgehen nicht zielführend ist, erhält die Schwangere eine parenterale Ernährung mit parallelen Gaben von Metoclopramid, Promethazin oder Ondansetron.
- Metoclopramid MCP, (früher Paspertin® – Off-Label), zählt zu den Dopamin-Antagonisten, wirkt zentral auf das Brechzentrum (Area postrema) und beschleunigt die Magen-Darm-Passage der Nahrung. Als Nebenwirkungen können extrapyramidale Symptome auftreten wie z.B. Dyskinesien (22). Unter MCP-Anwendung traten keine erhöhten Fehlbildungsraten auf. Übliche Dosierung: 10mg bis zum 3mal täglich.
- Promethazin (Atosil® – Off-Label), ein Neuroleptikum aus der Gruppe der Phenothiazine, wirkt auch H1-antihistaminisch und zusätzlich stärker sedierend als Doxylamin. Der Wirkstoff wird im Rahmen von Grunderkrankungen bei Unruhe- und Erregungs-zuständen eingesetzt. Auswertungen von mehr als 3000 Schwangerschaftsverläufen ergaben keine Anzeichen auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko, so Embryotox. Allerdings ist Promethazin plazentagängig und kann daher bei peripartaler Anwendung innerhalb der ersten Tage postpartum zu Anpassungsstörungen beim Neugeborenen führen.
- Bei sehr starker Ausprägung der HG kann Ondansetron (Zofran® – Off-Label), ein hochselektiver 5-HT3-Rezeptor-Antagonist, eingesetzt werden. Der Arzneistoff ist mit mehr als 112.000 in Kohortenstudien ausgewerteten Schwangerschaftsverläufen das quantitativ und qualitativ am besten untersuchte Antiemetikum, so laut Embryotox. Dabei konnte kein erhöhtes Gesamtfehlbildungsrisiko ermittelt werden. Auch ergaben sich keine Hinweise auf ein erhöhtes Spontanabortrisiko. (11) Die übliche Dosis beträgt 2mal 4mg täglich.
- Glukokorticoide wie z. B. Methylprednisolon oder Hydrocortison kommen nach der 10. Schwangerschaftswoche ebenfalls bei sehr starker Symptomatik (Off-Label) zum Einsatz. Der Wirkmechansimus ist hier noch weitestgehend unbekannt. Die Gabe der Kortikosteroide geht mit einem gering erhöhten Risiko für fetale Malformationen (Lippenspalte) einher bei Anwendung vor der 10. Schwangerschaftswoche. Laut Embryotox lässt sich dabei keine sichere Dosis angeben, „schätzt aber das individuelle Risiko bei einer Methylprednisolon-Dosis von etwa 8 bis 12 mg als extrem gering ein“. Es besteht allerdings bei Anwendung ab dem 2. Trimenon das Risiko unter Methylprednisolon in Abhängigkeit von Therapiedauer, Dosis und Indikation einer intrauterinen Wachstumsretardierung, Frühgeburt sowie vorübergehender Hypoglykämie, Hypotonie und Elektrolytstörungen beim Neugeborenen. Bei einer selten erforderlichen, höher dosierten Behandlung über mehrere Wochen sollte das fetale Wachstum daher regelmäßig sonografisch überwacht werden (11).
Generell erfolgt die antiemetische Therapie so lange, bis die Patientin mindestens eine Woche asymptomatisch ist.
Zusammenfassung
Schwangere Frauen mit Übelkeit und Erbrechen sollten ernst genommen werden und je nach Ausprägung der Symptomatik einer entsprechend individuell angepassten Therapie zugeführt werden. Dafür stehen bei Bedarf wirksame und sichere Medikamente zur Verfügung. Auf diese Weise kann der Entwicklung einer schweren Symptomatik Einhalt geboten werden sowie die Möglichkeit einer Hospitalisierung (23) reduziert werden.
Literaturangaben
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(7) Fejzo M et al. GDF15 linked to maternal risk of nausea and vomiting during pregnancy. Nature 2024;625(7996):760-767, doi: 10.1038/s41586-023-06921-9
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Smith J, Clark S: Nausea and vomiting of pregnancy: Treatment and Outcome. Up to date 2021
Wala Hebammenkompendium, Wala AG, 2019
Fachinformation Cariban® 10 mg/10 mg Hartkapseln, Stand: 12/2022
Fachinformation Xonvea® 10mg/10mg Tabletten, Stand 02/2022
Fachinformation Folio® nausema Tabletten, Stand 05/2023
Fachinformation Robinia comp.® Globuli Wala 03/2019
Fachinformation Gentiana Magen Globuli velati® Wala 03/2019
Fachinformation Nausyn® Tabletten Weleda 02/202