Estragol im Fecheltee bedenklich? Im November letzten Jahres, ihr erinnert euch sicher noch, versetzte die Empfehlung von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, Säuglingen und Kleinkindern unter vier Jahren keinen Fencheltee zu verabreichen, viele Eltern, aber auch Fachexperten wie Hebammen und Apothekenpersonal in Aufregung. Auch schwangere Frauen und stillende Mütter sollten keine Lebensmittel, die Fenchelfrüchte enthalten, konsumieren. Und trotzdem sind sie immer noch in einigen handelsüblichen Säuglings- und Stilltees enthalten.
Was hat es damit auf sich?
Fenchelfrüchte werden traditionell als pflanzliches Karminativum zur symptomatischen Behandlung bei Blähungen und Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt. Nun gibt es Sicherheitsbedenken aufgrund des enthaltenen Estragols. Neuere Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, Estragol, ein Inhaltsstoff des Fenchels, wirkt erbgutschädigend, krebserregend und leberschädigend. Genauer betrachtet zeigt sich jedoch, dass die Erkenntnisse aus In-vitro und tierexperimentellen Untersuchungen stammen. Dabei wurde eine hohe Konzentration an Estragol als Einzelsubstanz eingesetzt (600mg Estragol/kg KG Bristol 2011). Die Experimente wurden an Ratten und Mäusen durchgeführt. Aussagekräftige Daten In-vivo, also am Menschen, fehlen bis zum jetzigen Zeitpunkt. Zudem ist Estragol im Fenchel nicht als Einzelsubstanz enthalten. Im Gegenteil, es liegt in einem Verbund an Inhaltsstoffen vor, die sich gegenseitig beeinflussen. Das BfR stellte 2021 (BgVV 2002, Mihats et al 2017) zu dem sicher, dass beim Genuss von Estragol-haltigen Lebensmitteln nichts auf ein erhöhtes Risiko für ein Leberkarzinom hindeutet.
Weitere Untersuchungen, so schreibt Stadelmann (Forum Ausgabe 63/24, S.4), zeigten, dass die unerwünschten Effekte von bestimmten Stoffwechselprodukten (Metaboliten) des Estragols ausgehen. Diese werden allerdings erst bei der Aufnahme einer höheren Dosierung gebildet. Niedrige Konzentrationen werden zu harmlosen Metaboliten verstoffwechselt und ausgeschieden. Bedauerlicherweise kann die Menge, ab der aufgenomme Estragolmengen toxische Abbauprodukte entstehen, nicht genau definiert werden.
Estragol nicht nur im Fenchel
Estragol ist nicht nur im Fenchel enthalten, sondern beispielsweise auch im Anis oder in der Melisse. Die tägliche Aufnahme von Estragol über die Nahrung liegt im Bereich von 0,5mg pro Tag. Sie ist jedoch individuell unterschiedlich und variiert auch von Region zu Region. In der Studie von Mihats (2017) zeigte sich, dass die Estragol-Konzentration in Fencheltees eine Spannbreite zwischen 78,0-4,6335µg pro Liter aufweisen.
Einen Grenzwert für eine sichere Aufnahmemenge gibt es nicht. Schwangere und Stillende sollten unter der 50,0µg Grenze bleiben, Kinder zwischen vier und zwölf Jahren sollten eine tägliche Höchstmenge von 1,0µg pro Kilogramm Körpergewicht nicht überschreiten. Bedenklich wird es laut EMA, wenn weitere Estragol enthaltende Lebensmittel pro Tag konsumiert werden. Dadurch könnten die hepatotoxischen Grenzwerte erreicht oder gar überschritten werden.
Gilt dies auch für das ätherische Fenchelöl?
Zu unterscheiden sind bei den ätherischen Ölen zwei Varietäten: Bitter- und Süßfenchelöl. Wobei das süße Fenchelöl mehr Estragol enthält. Bei der Anwendung von ätherischen Ölen ist gerade bei Säuglingen, Schwangeren und Stillenden auf einen Einsatz im Niedrigdosisbereich zu achten. Das bedeutet, eine Mischung aus einem Basisöl, kaltgepresstes, fettes Pflanzenöl wie z.B. Mandelöl, plus einem ätherischen Öl in einer Konzentration von 0,25% bei Säuglingen und 0,5-1,0% in der Schwangerschaft und Stillzeit ist für geeignete ätherische Öle in diesen Phasen möglich. Die Anwendung von süßem Fenchelöl sollte nach Empfehlung des Komitees für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) zeitlich begrenzt und nur auf intakter, gesunder Haut aufgetragen werden. Laut Stadelmann (Forum Ausgabe 63/24, S.4) „können Fertigprodukte der Aromatherapie“ durchwegs empfohlen werden, auch bei Säuglingen und Kindern, Schwangeren und Stillenden.“
Seit kurzem gibt es Estragol-rektifiziertes Fenchelöl. Die Fenchelfrüchte werden hier mit einem speziellen Verfahren destilliert, bei dem der kritische Inhaltsstoff nicht oder nur in Spuren ins ätherische Öl übertritt. Der Estragol-Gehalt befindet sich bei diesen Ölen im Nullprozentbereich.
Achtung generell gilt: Bitter- und Süßfenchelöl gehören aufgrund ihres Inhaltsstoffmusters nicht in den Selbstmedikationsbereich! Wenn Fenchelöl zur Anwendung kommen soll, dann solltet ihr am besten auf Estragol-rektifiziertes Öl zurückgreifen.
Was könnt ihr alternativ bei Blähungen anwenden?
Wenn Schwangere, Stillende, Säuglinge und Kleinkinder an Blähungen leiden, empfehlt ihr am besten einen Tee mit Kümmelfrüchten und Kamillenblüten. Hier seid ihr auf der sicheren Seite. Denkt bitte immer daran: Nicht viel hilft viel, sondern die Dosis ist anzupassen. Wollt ihr Teebeutel empfehlen, reicht ein Beutel für 1 Liter, bei einem „offenen“ gemischten Tee ist tatsächlich ein Eßlöffel bezogen auf 1Liter Wasser ausreichend. Denkt immer an den Grundsatz: Sanfte Reize setzen in sensiblen Zeiten.
Unterstützend könnt ihr gerne eine feucht-warme Auflage mit ätherischen Ölen wie Kamille römisch, Koriander, Lavendel fein, Kreuzkümmel, Engelwurz, Ingwer, Mandarine rot, Benzoe Siam für das Bäuchlein einsetzen. Bei Schwangeren ist eine Ätherisch-Öl-Kompresse, die sie mit dem Slip fixieren, eine gute Alternative. Dafür nehmt ihr eine kuschelweiche „Kompresse für Pflanzenöle“ und gebt darauf z.B. folgende Mischung: 2 Eßlöffel Olivenöl (bio) plus je zwei Tropfen Kamille römisch und Lavendel fein, vermischt es gut und verteilt die Ölmischung auf der mit einem Föhn vorgewärmten Kompresse. Fixiert werden kann sie mit dem Slip oder mit einem Wollschal um den Bauch. Natürlich geht es auch professioneller mit einem Bauchwickelset z.B. von Wickel und Co®. oder von der Wickelbox®.
Fazit
Wie ihr seht, muss es nicht immer Fenchel sein. Es gibt wirkungsvolle Alternativen sowohl bei Arzneipflanzen als auch bei ätherischen Ölen.
Wenn ihr euer Wissen über ätherische und fette Öle vertiefen wollt, könnt ihr ab 2025 auch ein Seminar über „Wickel und Auflagen“ oder über den „Einsatz von ätherischen in Schwangerschaft, Still- und Säuglingszeit“ bei uns buchen.
Bleibt dran! Wir freuen uns auf euch!
Karin mit Team
Literaturangaben:
BfR, Gefahr oder Risiko? BfR2Go Ausgabe 01/2021, S.20
BgVV, Minimierung von Estragol- und Methyleugenol-Gehalten in Lebensmitteln, Hintergrundpapier am 15.01.2002
Blaschek, W. Wichtl -Teedrogen und Phytopharmaka – Ein Handbuch für die Praxis, 6. Auflage, WVG 2016
Bristol, D.W. (2011). NTP 3-month toxicity studies of estragole (CAS No. 140-67-0) administered by gavage to F344/N rats and B6C3F1 mice. Toxicity Report Series, 82:1-111.
EMA (2023). European Medicines Agency. Public statement on the use of herbal medicinal products containing estragole. EMA/HMPC/137212/2005/Rev 1 Corr 1.
Mihats D., Pilsbacher L. et al, Levels of estragole in fennel teas marketed in Austria and assessment of dietary exposure. Int J Food Sci Nutr 2017, 68:569-576
Ramsayer B., Fencheltee in der Kritik, DHZ, 01.11.2023
Stadelmann I., Aromamischungen für Mutter und Kind, 5. Auflagen, Stadelmann Verlag 2020
Voitl, P. (2023). Fencheltee für Kinder? Monatsschrift Kinderheilkunde, 171, 963-964.
Wolz D., Engelhardt G., Heuberger E., Fenchelöle in Steflitsch W. Wolz D et al. Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis, S.216f, Stadelmann Verlag 2021
Wolz D., Stadelmann I., Heuberger E., Ätherischen Fenchelöl in der Phyto-Aromatherapie – welchen Stellenwert hat Estragol?, S.2-5, Forum Essenzia, Ausgabe 63/2024